Der Tabakanbau in Gottenheim

Nach dem Einbruch des Hanfanbaus nach 1880 entschlossen sich unsere Vorfahren Tabak anzubauen:

Tabakpflanze

Aufgehängt wurden die grünen Tabak-Blätter auf Bandelieren an den Balken auf dem Speicher, in der Scheune sowie an den Vordächern. Trocknungsanlagen im heutigen Sinne waren damals nicht vorhanden. Erst 1938 wurde auf der Au eine Gemeinschaftstrocknungsanlage erstellt. Wer Platz hatte und die erforderlichen geldlichen Mittel, konnte im Laufe der Zeit einen eigenen Schuppen erstellen. Nach vorhandenen Unterlagen wurden anfangs des 20.Jahrhunderts Preise erzielt, die je Zentner in getrocknetem Zustand bei 17-20 Mark lagen. Bis zum ersten Weltkrieg war das Geschäft besser, nach dessen Ende verschlechterte sich wieder der Tabakabsatz.

Unter Mithilfe der damaligen Landwirtschaftskammer schlossen sich die Tabakpflanzer in Vereinen zusammen. Der Verkauf wurde besser. Je Zentner wurden 30-50 Mark erzielt. Später wurde das Einschreib-System eingeführt. Jeder Tabakanbauer musste von den verschiedenen Ernteanteilen ein Musterbüschel zur Einsicht vorlegen. Wenn man bedenkt, dass eine Tabakpflanze aus folgenen Ernteanteilen besteht: Grumpen (ganz unten), dann: Sandblatt (das Feinste einer Tabakpflanze), Mittelgut, Hauptgut und Obergut, wird klar, wie differenziert die Tabakpflanze behandelt werden musste.

Die Ernte an der Pflanze erfolgte von unten nach oben. Eine mühselige Arbeit war das Ernten der Grumpen und des Sandblattes, da dieser Vorgang knieend und beim Sandblatt mit allergrößter Sorgfalt durchgeführt werden musste. Das Sandblatt, das später als Um- und Deckblatt bei Zigarren dienen sollte, durfte keinesfalls irgendwelche Beschädigungen aufweisen. Jede Beschädigung minderte den Erlös. Aufgrund der verschiedenen vorgelegten Muster wurde von der Tabak verarbeitenden Industrie nach einem Punkte-System eine Bewertung vorgenommen. Diese Bewertung war die Grundlage der dann in Offenburg durchgeführten Tabakversteigerung.

Im Jahre 1928 führte die Badische Landwirtschaftskammer die Kontingentierung des Tabaks ein, um ein Überangebot zu vermeiden. Das Zollamt Freiburg wurde mit der Überwachung beauftragt. Wenn ein Tabakpflanzer nur 10 Pflanzen mehr hatte, als sein Kontingent auswies, mussten diese vernichtet werden. Es gab damals auch strenge Vorschriften über die Düngung, die jeder Pflanzer genau einhalten musste: Wegen Stickstoffüberdüngung wurde z.B. Jauche grundsätzlich verboten.

Nach dem 1. Weltkrieg stiegen die Qualitätsansprüche erneut. Die unteren Ernteanteile ergaben durchweg Um- und Deckblatt für Zigarren, Zigarillos und Stumpen. Um die erhöhten Qualitätsansprüche zu erfüllen, entschlossen sich die Gottenheimer Tabakanbieter zu einem geschlossenen Anbau mit Beregnung. Die erforderliche Beregnungsanlage, die im Jahre 1953 angeschafft wurde, kostete DM 8.000. Dieser Betrag wurde zur Hälfte von den Anbauern und zur Hälfte aus Landesmitteln finanziert. Für die Wasserentnahme zum Einsatz der Beregnungsanlage benötigten die Tabakanbauer die Genehmigung durch das Landratsamt. Hiergegen gab es 10 Einsprüche seitens der Wässerungsgenossenschaft und der Mühlenbesitzer. Mehrere Besprechungen wurden erforderlich. Endlich wurde eine gütliche Vereinbarung getroffen. Jeweils in der Zeit vom 1. bis 20. Juli darf Wasser nur an jedem Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zwischen 19 und 9 Uhr des folgenden Tages und jeweils in der Zeit vom 20. bis 31. Juli an jedem Samstag, Sonntag und Montag zwischen 19 und 9 Uhr des folgenden Tages entnommen werden, d. h. die Beregnung durfte nur nachts erfolgen. Dieser Vorgang musste von den Tabakpflanzern überwacht werden. Der Tabak benötigt in seiner Hauptwachstumszeit (70 Tage ab Juli bis Anfang September) etwa 360 mm Niederschlag. Diese Niederschlagsmenge wird in der angegebenen Zeit nicht erreicht, so dass die Beregnungsanlage sich als Vorteil für die Tabakpflanzer auswirkte.

Eine alte Erfahrung setzt gute Weinjahre schlechten Tabakjahren gleich, und die guten Weinjahre 1947, 1949 und 1952 zeigten sich wirklich als schlechteste Deck- und Umblattjahre. Als Einlage (Seele) wird der innere Teil einer Zigarre bezeichnet. Dieses Blattmaterial hat nur einen verhältnismäßig geringen Wert. Deck- und Umblattmaterial werden dreimal so hoch bezahlt wie Einlegematerial. Diese beiden wertvollen Blattmassen sind aber naturgemäß nur in niederschlagreichen Jahren zu erzeugen. Durch die künstliche Beregnung konnte die klimatische Ungunst erfolgreich überbrückt werden, denn selbst in summarisch niederschlagsreichen Jahren traten größere und kleinere Trockenperioden auf, die die Qualität des Tabaks beeinträchtigten. Deshalb war die Anschaffung einer Beregnungsanlage von großem Nutzen. Schon im ersten Jahr der Beregnung wurde ein Mehrerlös von 80% erzielt. Die Gottenheimer Tabakpflanzer erreichten in der BRD Spitzenpreise.

Das Ansehen des heimischen Tabaks lag immer in seiner Qualität begründet. Disziplinierte Erzeugung und Anpassung an die sich laufend ändernde Marktsituation wurden immer mehr erforderlich. Die guten Qualitäten und die sich in der Gemeinde angesiedelten Tabak- und Zigarrenfabriken brachten auch in anderer Weise Arbeit in die Gemeinde: Heimarbeit und Fabrikarbeit waren besonders für Frauen eine Möglichkeit, das Einkommen der Familien aufzubessern. Die Verkehrsverbindungen zur Stadt waren seinerzeit noch nicht so ausgebaut wie heute, und Autos waren für die Familien ein unerschwinglicher Luxus. Nach Unterzeichnung der EWG-Verträge kam als neuer Nachteil für den heimischen Tabakanbau der Zoll-Abbau. Ab 1959 trat dann noch die Blauschimmelkrankheit stark auf. Die dagegen erforderlichen Spritzungen waren schwierig und arbeitsaufwändig. Dadurch kam der Tabakanbau mehr und mehr zum Erliegen. Ein starker Konsumrückgang bei Zigarren und Stumpen verstärkte den Niedergang.

Gleichzeitig entwickelte sich in den Nachbarorten eine moderne Industrie, die neue Arbeitsplätze schuf; die Verbindungen zur Stadt verbesserten sich laufend und die Möglichkeit, sich ein Auto zu kaufen, um so an anderen Plätzen Arbeit aufzunehmen, war für die meisten Familien kein Problem mehr. Auch das Lohnangebot der Industrie war für die ehemaligen Tabakarbeiter- und -arbeiterinnnen so verlockend, dass die in Gottenheim angesiedelte Zigarrenfabrikation nicht mehr Schritt halten konnte. Alle drei Betriebe mussten mit der Fabrikation aufhören. Im Jahre 1967 hat auch die Firma Steyert, die seit 1877 eine mittlere Zigarrenfabrikation betrieb, ihre Pforten geschlossen.

Quelle: 900 Jahre Gottenheim 1086-1986